
Lothar Huber, Sie haben mehr als 300 Bundesligaspiele für den 1. FC Kaiserslautern und Borussia Dortmund gemacht, seit einigen Jahren arbeiten Sie nun als Platzwart für den BVB. Sie müssen es doch wissen: Wie sieht der perfekte Fußball-Rasen aus?
Lothar Huber: Puh, schwere Frage. Ein perfekter Rasen darf nicht zu weich und nicht zu fest, nicht zu lang, aber auch nicht zu kurz geschnitten sein. Perfekte Rasenplätze finden Sie übrigens vor allem in England – die haben meistens kleinere Stadien, da kommt mehr Licht und mehr Luft an den Rasen. Rasentechnisch sind unsere Riesen-Arenen in Deutschland ein Nachteil.
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Werden Sie konkreter: Wenn ich morgen Platzwart eines Bundesligisten werde, wie kurz sollte ich dann den Rasen mähen?
Lothar Huber: 2,8 Zentimeter, da können Sie nicht viel falsch machen. Das war übrigens genau die Länge, die Matthias Sammer als BVB-Trainer immer haben wollte.
Die Trainer kümmern sich um die Schnittlänge des Platzes?
Lothar Huber: Oh ja! Matthias Sammer war sogar ein richtiger Rasenexperte. Der hatte ein ganz besonderes Gespür für einen optimalen Rasen. Und als er 2000 Trainer in Dortmund wurde, hat er gleich von meinem Chef Willi Droste verlangt: „Willi, mach ihn mir auf 2,8.“ In der Regel lässt es sich so zusammen fassen: Je kürzer der Rasen, desto technisch versierter ist die Mannschaft, die darauf spielt. Schauen Sie sich die Plätze im Camp Nou vom FC Barcelona oder Santiago Bernabeu von Real Madrid an: Das sind ja fast Golfplätze!
Herr Huber, ich trau mich gar nicht eine Dortmunder Legende so etwas zu fragen, aber: Wenn Licht und Luft über den perfekten Rasen entscheiden – hat die Konkurrenz aus Gelsenkirchen mit dem ausfahrbaren Rasen nicht einen immensen Vorteil?
Lothar Huber: Nicht unbedingt. So viel ich weiß, können die sich das gar nicht mehr leisten, ihren Rasen jede Woche rein und raus zu fahren. Das kostet schließlich eine Menge Geld und davon scheint ja in Gelsenkirchen gerade nicht viel übrig zu sein… Außerdem lag der Rasen – wenn er denn draußen war – auch nicht immer in der Sonne. Also bleibt er nun auch erstmal drin.
Der Schalke-Rasen ist also nicht besser als der Dortmund-Rasen?
Lothar Huber: Das glaube ich kaum. Schließlich machen die bei schlechtem Wetter ihr Stadion einfach zu und das gefällt dem Rasen nun ganz und gar nicht.
Apropos schlechter Rasen: Wenn man sich Fotos aus Ihrer aktiven Zeit anschaut, sieht man meistens wenig grünen Rasen, sondern nur Matsch und braune Erde. Täuscht der Eindruck?
Lothar Huber: Nein, da haben Sie Recht. Nicht nur der Fußball an sich ist in den vergangenen 30 Jahren professioneller geworden, auch die Rasenpflege hat sich enorm entwickelt. Früher gab es einen Rasenplatz und fertig. Im Sommer war das kein Problem, wenn da ein Stückchen Gras weggegrätscht wurde, dann brauchte man den grünen Lappen einfach nur wieder feste in die Erde drücken und zum nächsten Spieltag war alles fest verwachsen. Im Winter wächst der Rasen nicht, ging dort etwas kaputt, blieb es auch kaputt. Da konnte der Platzwart den Schaden erst im Frühjahr beheben. Heute kümmern sich doch ganze Mannschaften um die Pflege der Plätze, allein das Thema der richtigen Düngung ist eine Wissenschaft für sich. Kein Vergleich zu früher.
Sie haben 254 Spiele für den BVB gemacht, die Hälfte davon im heimischen Westfalenstadion. An welches Heimspiel haben Sie die schönsten Erinnerungen?
Lothar Huber: Saison 1975/76, das zweite Relegationsspiel gegen den 1. FC Nürnberg um den Aufstieg in die 1. Bundesliga. Wir hatten das Hinspiel in Nürnberg mit 1:0 gewonnen und nach 80. Minuten stand es im Rückspiel 2:2. Das hätte schon zum Aufstieg gereicht, aber nach 89 Minuten gelang mir das alles entscheidende 3:2 – seitdem ist der BVB in der 1. Bundesliga!
Sind die Fans danach auf den Rasen gelaufen?
Lothar Huber: Allerdings. Kurz vor dem Ende fragte ich den Schiedsrichter (Ferdinand Biwersi, d. Red.): „Schiri, wie lange noch?“ Er zeigte es mir an: Noch eine Minute. Die Nürnberger und meine Mitspieler hielten sich schon längst in der Nähe des Spielertunnels auf, nur ich stand auf der anderen Seite, als der Schiedsrichter schließlich abpfiff. Eine halbe Stunde habe ich gebraucht, um unsere Kabine zu erreichen. Trikot, Hose, Stutzen, Schienbeinschoner – alles war weg! Nur meine Unterhose hatte ich noch an, die wollte merkwürdigerweise niemand haben (lacht).
Haben Sie einen vergleichbaren Platzsturm später noch einmal erlebt?
Lothar Huber: Allerdings. 2003, ich war schon Platzwart, musste Galatasaray Istanbul sein Heimspiel in der Champions League gegen Juventus Turin wegen einer Platzsperre in einem fremden Stadion austragen, die Verantwortlichen entschieden sich für Dortmund. Nach dem Spiel stürmten die türkischen Fans auf den Platz, unser schöner Rasen sah anschließend aus wie eine Mondlandschaft! Immerhin waren sie so freundlich, uns für die Arbeit zu entlohnen: An den Außenlinien war der Rasen übersät von Handys und Geldmünzen.
Zurück zu Ihrer Fußballer-Karriere. Und dem absoluten Tiefpunkt…
Lothar Huber: Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen. 1978, das letzte Saisonspiel gegen Borussia Mönchengladbach?
Korrekt.
Lothar Huber: Das ist mir immer noch peinlich. Ich war in diesem Spiel unser Libero und in der gesamten Partie vielleicht dreimal am Ball. Nach dem sechsten Tor für die Borussia musste schon der Schiedsrichter (übrigens wieder Ferdinand Biwersi, d. Red.) die Bälle aus dem Netz holen, wir wollten den Gladbachern diesen Gefallen nicht mehr tun. Und dass sich nach dem Spiel Gott und die Welt auf unseren Trainer Otto Rehhagel stürzte, tut mir heute noch leid. Ehrlich gesagt, wir Spieler waren damals froh, dass die Öffentlichkeit einen Sündenbock gefunden hatte. Für Otto muss das furchtbar gewesen sein.
In solchen Momenten ist man als Trainer ganz allein.
Lothar Huber: Richtig grausam wurde es aber in den kommenden Wochen, denn dummerweise hatte die Vereinsführung schon vor dieser Katastrophe noch einige Freundschaftsspiele gegen Amateurmannschaften vereinbart. Wir zogen über die Dörfer und mussten uns gefallen lassen, als Betrüger beschimpft zu werden. „Wo steht denn nun dein neues Haus, dein neues Auto!“, riefen die Zuschauer. Sie glaubten allen Ernstes, wir hätten dieses Spiel verkauft.
Sie haben Ihre Karriere als Fußballspieler 1987 beendet – da hatten Sie allerdings schon einige Jahre Erfahrung als Trainer auf dem Buckel.
Lothar Huber: Richtig. Anfang der Achtziger suchte die Mannschaft des jüngeren Bruders meiner Frau einen Trainer, unser damaliger Chef Branko Zebec gab mir die Erlaubnis und ich stand schon bald als Übungsleiter für die B‑Jugend vom VfR Sölde an der Seitenlinie. Das war super: Glücklicherweise trainierten wir mit den Profis immer tagsüber, abends hatte ich dann Zeit für meine Jungs aus Sölde. Wir stiegen sogar in die Westfalenliga auf, damals die höchste Jugendspielklasse der Region! Die Stars unserer Gegner aus Dortmund oder Gelsenkirchen hießen Olaf Thon oder Michael Skibbe.
Dann machten Sie einen ordentlichen Karrieresprung – und wurden Co-Trainer von Borussia Dortmund.
Lothar Huber: Das war während der Saison 1985/86, ich spielte ja noch selbst, assistierte aber in den letzten Spielen Reinhard Saftig. So gesehen war ich Spieler-Co-Trainer. Das war kein leichter Einstieg für mich: Wir mussten in die Relegation, es ging um den Verbleib in der ersten Liga. Das Hinspiel hatte Fortuna Köln mit 2:0 gewonnen, nach 90 Minuten im Rückspiel stand es erst 2:1 für uns. Wir waren also schon abgestiegen. Dann schoss Jürgen Wegmann in der Nachspielzeit doch noch das rettende 3:1. Das Entscheidungsspiel gewannen wir dann locker mit 8:0.
Nicht die erste Rettung des BVB, die Sie als Spieler miterleben mussten…
Lothar Huber: 1984 stand die Borussia kurz vor dem Konkurs, erst Dr. Reinhard Rauball als Präsident hat uns da vor dem Ende gerettet. Er war gerade ein paar Tage im Amt, da nahm er jeden von uns Spielern einzeln zur Seite und erklärte uns die missliche Situation. Er bat jeden Spieler, aufgrund der finanziell angespannten Lage, auf die fällige Jahresleistungsprämie zu verzichten. Das waren damals etwa 15.000 bis 20.000 DM. Für mich war das keine Frage, ich verzichtete auf das Geld, wie einige andere auch. Viele haben allerdings auf die Auszahlung der Summe bestanden. Das waren harte Monate, aber sicher nicht so schlimm wie in der Krisensaison 2004/05, als es nicht mehr fünf vor, sondern schon fünf nach Zwölf war. Ich bin heilfroh, dass es jedes Mal gut gegangen ist und wir heute auf so gesunden Füßen stehen. Für mich ist und bleibt der BVB mein Verein. Auch wenn ich ursprünglich aus der Pfalz komme…
1952 sind Sie in Kaiserslautern zur Welt gekommen. Wie viel Pfalz steckt denn noch in Ihnen?
Lothar Huber: Inzwischen bin ich wohl mehr Westfale als Pfälzer. Aber was Essen und Trinken angeht, kann ich meine Heimat nicht verbergen. Dann gibt es statt Pils auch mal einen schönen Wein aus der Region und dazu lecker Pfälzer Saumagen. Köstlich!
Ist das nicht das Lieblingsessen von Ex-Kanzler Helmut Kohl?
Lothar Huber: Ganz genau. Wenn man den Saumagen das erste Mal vor sich auf dem Teller sieht, glaubt man zwar nicht, dass das essbar ist. Aber Sie müssen das mal probieren, es schmeckt hervorragend.
Lieber nicht. Aber lassen Sie uns doch weiter über Fußball sprechen. 1991 bekam der Pfälzer Westfale Lothar Huber einen neuen Chef aus der Schweiz: Ottmar Hitzfeld. Wie kamen Sie miteinander aus?
Lothar Huber: Sehr gut sogar. Als Ottmar 1991 als neuer Cheftrainer vorgestellt wurde, kannte ihn ja kein Mensch. Er hatte zuvor nur in der Schweiz trainiert. Für unsere Fans war er ein absoluter No-Name.
Für Sie nicht?
Lothar Huber: Nein, uns verband sogar eine kleine Geschichte.
Erzählen Sie!
Lothar Huber: Als Jupp Derwall 1972 seinen Kader für die Olympia-Auswahl zusammenstellte, war ich zunächst mit dabei. Allerdings hatte mir Derwall gesteckt: „Wenn der Hitzfeld wieder rechtzeitig fit wird, nehme ich ihn und nicht dich mit!“ Blöd für mich, dass Ottmar tatsächlich wieder rechtzeitig vor den Olympischen Spielen gesund wurde und ich doch zu Hause bleiben musste.
Und als Sie ihn 1991 das erste Mal auf dem Trainingsplatz begegneten, stellten Sie ihn erstmal zur Rede?
Lothar Huber: Ach was. Das war für mich natürlich gar kein Problem. Irgendwann habe ich Ottmar die Geschichte erzählt. Er hatte das gar nicht gewusst und lachte sich schlapp.
Als Hitzfeld 1997 seinen Trainerjob in Dortmund beendete, waren Sie schon gar nicht mehr in Deutschland. Was um alles in der Welt hatte Sie nach Japan verschlagen?
Lothar Huber: 1996 suchte Pierre Littbarski einen Assistenten für sein Engagement als Spielertrainer bei Brummell Sendai. Eigentlich wollte er Thomas Kroth überreden, aber der wollte nicht. Thomas sagte zu Pierre: „Aber ich kenn da einen, der vielleicht Lust auf die Sache hat: Lothar Huber!“ Also rief mich Litti an, ich sprach mit meiner Familie und sagte schließlich zu. Kurze Zeit später saß ich schon im Flieger Richtung Japan.
Sie blieben ein Jahr am anderen Ende der Welt. Wie hat es Ihnen dort gefallen?
Lothar Huber: Großartig! Die Menschen, die Kultur, das Land – das waren alles so tolle Eindrücke, die werde ich mein Leben nicht vergessen. Ich erinnere mich an eine besonders kuriose Situation: Jeden Morgen fuhr ich mit Litti in der Bahn zum Trainingsgelände und jeden Morgen brachte Litti die neuesten deutschen Zeitungen mit. Eines Morgens waren wir so vertieft in die Nachrichten aus der Heimat, dass wir gar nicht mitbekamen wie unser Abteil abgekoppelt wurde! Erst als wir in der Abstellhalle hielten, merkten wir beide, dass da irgendwas faul war. Ein Bahnmitarbeiter kam in unser Abteil und lachte sich halb tot, als er uns beide dort mit den Zeitungen auf dem Schoß sitzen sah!
Littbarski muss spätestens seit seinem Wechsel 1993 zu JEF United Chiba ein großer Star in Japan gewesen sein…
Lothar Huber: So war es auch. Die Leute waren verrückt nach ihm. Jeden zweiten Tag gingen wir beide nach dem Training ins Kino, um uns die neuesten Filme anzusehen. Und nicht selten war Litti vor dem Kino von einer riesigen Menschentraube umringt. Die Leute kreischten „LITTI! LITTI! LITTI!“ und fragten dann ganz höflich nach, ob sie ihm die Hand schütteln dürften. Die Japaner sind ein sehr höfliches Volk.
Lothar Huber, Sie sind jetzt seit 37 Jahren Borusse. Bekommen Sie immer noch einen Kloß im Hals, wenn Sie an die sensationelle Meisterschaft aus der vergangenen Saison denken müssen?
Lothar Huber: Natürlich. Obwohl ich beim entscheidenden 2:0‑Sieg zu Hause gegen den 1. FC Nürnberg gar nicht im Stadion war.
Bitte?
Lothar Huber: Ich genieße den großen Luxus, dass unser Haus nur 50 Meter vom Stadion entfernt ist. Und als die Jungs drinnen die Meisterschaft klarmachten, saß ich auf meiner Terrasse und habe mir ein Pils gegönnt. Nach dem Spiel zog dann der ganze Tross an meiner Haustür vorbei, das war einfach nur schön.
Eine letzte Frage noch, Herr Huber. Wie müssen wir uns den Platzwart im heimischen Garten vorstellen: Mit der Nagelschere auf dem Rasen?
Lothar Huber: Herr im Himmel, da würde ich ja wahnsinnig werden. Aber ich muss auch so genügend Pflege und Liebe investieren: Denn unser Garten ist ein 100×50 Meter großer Fußballplatz, wenn meine Frau aus dem Fenster sieht, dann schaut sie auf den Trainingsplatz der BVB-Jugend. Und wenn der nicht ordentlich gemäht ist, dann bekomme ich aber zu Hause was zu hören…
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