Die Corinthian-Casuals haben sich gut versteckt. Früher waren sie mitten in London beheimatet, in West Kensington und Crystal Palace. Heutzutage aber muss man mit der Southern Railway von der Victoria Station nach Berrylands fahren. Dort kann man mit etwas Pech schon mal eine Stunde auf den nächsten Bus warten, der einen weiter nach Tolworth bringt, eine Vororthaltestelle irgendwo südlich der Metropole. Der Routenplaner schlägt vor, die restlichen Kilometer über den Jubilee Way zum Stadion zu gehen, aber dort ist die Straße gesperrt. „Versuch’s über die Hauptstraße“, sagt ein Bauarbeiter. „Ich glaube, da hab ich mal einen Fußballplatz gesehen.“
Also am Kreisverkehr links, dann der Schnellstraße folgen, schließlich eine Querstraße, ein Pfad, und auf einmal steht dort wirklich ein kleines Stadion, das King George’s Field. Viel Wellblech, Holzbänke. Die Flutlichter erleuchten den Platz und die umliegenden Häuser. Am Eingang steht auf einem Schild der Name: „Corinthian-Casuals“. Er erinnert an eine gutgekleidete Hooliganbande, in Wahrheit aber ist hier einer der traditionsträchtigsten Vereine der Welt beheimatet. Oder wie es eine englische Zeitung mal schrieb: „The most important club you never heard of!“ Der wichtigste Fußballklub, von dem Du noch nie gehört hast!
„Guten Tag“, sagt ein Mann, der vor einem Bürocontainer neben der Haupttribüne wartet und ein wenig so aussieht wie Loriot. Er trägt einen grauen Parka, das weiße Haar hat er über die hohe Stirn gekämmt, aus der Brusttasche seines Jacketts unter dem Parka ragt ein pinkfarbenes Seidentuch. Aber sein Name ist nicht Lohse und er kauft hier auch nicht ein, er heißt Brian Vandervilt und ist der Präsident des Klubs. Die Wegbeschreibung der Bauarbeiter amüsiert ihn ein wenig, wundern tut sie ihn aber nicht, denn so etwas hört er oft. „Gehen Sie mal in den Supermarkt hundert Meter weiter und fragen Sie die Leute nach uns“, sagt er. „Schon dort wird uns keiner mehr kennen. Niemand weiß, dass hier ein Fußballklub namens Corinthian-Casuals spielt.“

Auf den ersten Blick ist der Verein aber auch nicht besonders, nur ein weiterer englischer Amateurklub in der Isthmian League, siebte Liga. Die Spieler sind mittelmäßig ambitionierte Hobbykicker, einige studieren, einer arbeitet als Lehrer, ein anderer bei Primark. Zu den Heimspielen kommen mal 150, mal 200 Zuschauer, selten mehr als 300. Trotzdem hat der kleine Klub 142.000 Facebook-Follower. Und das liegt an Brasilien. Dort sind nämlich etwa 141.000 dieser User beheimatet, dort sind die Londoner Amateure kleine Stars, dort hat der Verein Millionen von Fans. Einige von ihnen unternehmen sogar Pilgerreisen zum King George’s Field. Und selbst in Nordamerika oder Südafrika hat Corinthian-Casuals mehr Anhänger als in seiner Heimatstadt.
Wieso nur ist das so?
Um die wahre Größe des Vereins zu verstehen, muss man erst mal zurückgehen ins Jahr 1882. Damals war ein gewisser N. Lane Jackson, Mitarbeiter der FA, sehr besorgt um die englische Nationalmannschaft, denn sie hatte von den ersten elf Länderspielen gegen Schottland nur zwei gewonnen. Jackson gründete deshalb eine Art Kaderschmiede für die Nationalelf, er nannte den Verein Corinthian FC. In den 1880er Jahren stellten seine Spieler bei Länderspielen Englands fortan die Mehrheit, bei zwei Partien gegen Wales bestand die Nationalelf sogar ausschließlich aus Corinthian-Spielern. Die Ergebnisse wurden tatsächlich besser, in den 1890er Jahren verlor England nur zwei von 30 Begegnungen.

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Der professionellen Football League trat der Corinthian FC allerdings nicht bei. Auch um den FA-Cup spielte er nicht, denn er sollte, so hatten es Jackson und seine Mitstreiter in Regel 7 der Satzung festgelegt, ein reiner Amateurverein bleiben: „Der Klub darf nicht an professionellen Wettbewerben teilnehmen oder Preisgelder und Titel gewinnen.“
In Freundschaftsspielen bewies die Mannschaft aber, dass sie die beste des Landes war, sie schlug viele Profiteams mit Leichtigkeit. 1903 gewann sie zum Beispiel 10:3 gegen den amtierenden FA-Cup-Sieger FC Bury. Ein Jahr später kam Manchester United beim Corinthian FC mit 3:11 unter die Räder, es ist bis heute die höchste Niederlage des englischen Rekordmeisters. 1907 schloss sich der Klub offiziell dem Amateurfußballverband an, und weil es ihm fortan versagt war, Spiele gegen Profimannschaften auszutragen, begab sich das Team auf große Welttournee.
„Wir waren ein bisschen wie die Harlem Globetrotters“, sagt Präsident Brian Vandervilt und führt durch seinen Bürocontainer und das Klubheim, das aussieht wie ein kleines Museum. 136 Jahre Vereinshistorie hängen an den Wänden. In einem Gästebuch haben sich alle Wallfahrer verewigt, die den Klub schon mal besucht haben. Sie wollen wissen, wo sie herkommen. „Sie wollen sich bedanken, weil die Corinthian-Pioniere den Fußball zu ihnen gebracht haben.“ Und das meint Vandervilt nicht prahlerisch, das ist die Wahrheit.

Die abenteuerlichen und oft beschwerlichen Reisen Anfang des 20. Jahrhunderts führten die Mannschaft in die USA, nach Kanada, Südafrika, Skandinavien und zweimal nach Brasilien. Man kann überall auf der Welt Spuren des Corinthian FC finden. Die Trikots von Real Madrid sollen den weißen Corinthian-Jerseys nachempfunden sein. Das Wort „Soccer“, eine Kurzform von Association Football, erfand angeblich der Corinthian-Spieler Charles Wreford-Brown. Besonders angetan von den englischen Gentlemen waren die Brasilianer. Nach einem Spiel gegen den Sao Paulo Athletic Club gründeten fünf Bahnarbeiter 1910 einen eigenen Verein und nannten ihn im Gedenken an die Männer aus dem fast 10.000 Kilometer entfernten England: Sport Club Corinthians Paulista. Auch sie übernahmen die weißen Trikots, nur beim Namen gab es ein kleines Missverständnis, die Brasilianer hängten fälschlicherweise ein „s“ ans Ende.
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